Der erste Ruhetag der Tour und der Tag danach

L'étape du Tour 2009 - Montelimar - Mont Ventoux

Im Juli war ich für die Firma Canyon zur Mondovelo Radmesse in Montelimar. Nach 2 Messetagen und wenig Schlaf hatte ich die Möglichkeit mit einigen Canyon Kollegen und 4 Gewinnern von Preisausschreiben verschiedener europäischer Radzeitschriften die Original Tour de France Strecke von Montelimar zum Mont Ventoux zu befahren. Nach Abbau des Messestandes und 3 Stunden Schlaf begann der Tag um 4 Uhr früh. Frühstück mit allen Kollegen, Mitfahrern und Erik Zabel. Der Gewinn des Preisausschreibens war nämlich für die Gewinner ein Tag mit Erik bei der L'étape du Tour. Gegen 5 Uhr stiegen wir in die Autos und fuhren die 30 Kilometer vom Hotel in Bollène zum Start nach Montelimar. Kurz nach dem Ortseingang fuhren wir rechts ran und sattelten die Räder, da mit dem Auto kein Durchkommen bis zum Start gegeben war. Die ganze Stadt war voll mit Radfahrern. Etwa um 6 Uhr standen wir dann am Start und mussten dort noch eine Stunde auf den Beginn der Veranstaltung warten. So langsam ging die Sonne auf und es wurde von Minute zu Minute heller. Punkt sieben Uhr setzte sich dann die Schlange von etwa 9000 Radlern in Bewegung. Durch die Stadt ging es noch recht gemütlich los, aber schon nach der Stadtgrenze begann für einige das große Rennen. Wohlgemerkt nach einer Stunde stehen bei noch kühlen Temperaturen. Da ich schon in Berlin zum Velothon schlechte Erfahrungen mit einem zu schnellen Start gemacht habe, wollte ich mir den Tag im Sattel gut einteilen und fuhr die ganze Zeit mein eigenes Tempo ohne mich in Grund und Boden zu fahren. Anfangs ging es recht flach bis leicht ansteigend los. Viele die hinter uns gestartet waren, peitschten in kleinen Gruppen an uns vorbei und ich dachte mir, lass die nur fahren. Nach etwa 12 Kilometern begann der erste Anstieg zur Cote de Citelle. 5,2 Kilometer mit 3,9 % mittlerer Steigung. Nach dem höchsten Punkt begann ich dann schon den ersten Riegel zu essen. Immerhin lag das Frühstück schon etwa 3 Stunden zurück und ich wollte definitiv nicht wegen Energiemangel aussteigen müssen. Weiter ging es auf dem Weg zum Mont Ventoux durch Weinfelder und kleine Ortschaften, in denen schon früh morgens unzählige Zuschauer den Streckenrand säumten. Bei Kilometer 63 folgte dann die nächste Bergwertung. 6,3 Kilometer hinauf zum Col de Ey in malerischer Landschaft und einer Steigung von 5 % im Schnitt. Hier traf ich dann die ersten Mitfahrer mit Canyon Rädern, insgesamt drei Mann. Wir unterhielten uns kurz und wünschten uns eine gute Fahrt. Auch einen Roadlite Fahrer aus England traf ich wieder, dem ich einen Tag zuvor auf der Messe am Canyon Stand noch das Knacken im Tretlager beseitigte, indem ich dieses neu fettete. Leider hatte er einen Plattfuß und keinen Schlauch dabei. Auch Rodolphe aus Colmar vom Canyon France Team traf ich hier wieder, nachdem er jetzt schon mit Krämpfen zu kämpfen hatte. Auf dem Pass machte ich noch einige Fotos, bevor ich mich in die rasende Abfahrt stürzte. Und gestürzt bin ich dann nach 3 km Abfahrt auch fast. In einer Kurve mit etwa 60 Kilometer pro Stunde platzte mir mit einem lauten Knall der Schlauch am Vorderrad. Ich konnte mein Rad, ein Canyon Ultimate CF Dura Ace gerade noch so aussteuern, um nicht auf der Nase zu landen. Zwar sagen ja die Radprofis immer, dass Stürze mit hohen Geschwindigkeiten glimpflicher ausgehen, als mit 25 Kilometer in der Stunde, dennoch war ich heilfroh, nicht mit dem rauhen französischem Asphalt Bekanntschaft gemacht zu haben. Ich hielt am linken Fahrbahnrand an und hatte erstmal mit dem Adrenalinschock zu kämpfen. So langsam packte ich dann den Ersatzschlauch aus und stellte nebenbei meine Kamera an den Straßenrand und filmte die Abfahrer. Nach etwa 5 Minuten schwang ich mich wieder aufs Rad und weiter ging es talabwärts. Im nächsten Ort bei Kilometer 76 gab es dann die erste Verpflegungsstelle an der ich Gerry und Raymond wieder traf. Wir aßen eine Banane, tranken Wasser und füllten die Trinkflaschen wieder auf. Dann kam auch noch Christian, unser Kameramann, der öfter für Canyon kleine Filme dreht und interviewte uns kurz zum bisherigen Verlauf. Nach etwa 10 Minuten ging es weiter. Kurz nach dem Ortsausgang war dann auch zum ersten Mal der Gigant der Provence zu sehen und jagte mir bei seinem Anblick schon mächtig Respekt ein. Immerhin waren es bis zu seinem Fuß noch genausoviel Kilometer wie bisher und dann noch 21 Kilometer an seinen Flanken bis zum Gipfel. Nach weiteren 15 flachen Kilometern kam die nächste Steigung zum Col de Fontaube. Ein sehr moderater Anstieg in perfekter Umgebung. 4,7 Kilometer lang und mit 4,3 % weniger steil. Kurz nach dem Gipfel folgte eine kurze Abfahrt und drei Kilometer später der nächste Pass - Col des Aires. Jetzt ging es vorbei an Lavendelfelder und hinein ins Department Vaucluse (84). Im übernächsten Ort Sault gab es dann wieder eine Verpflegung, an der aber ausschließlich Wasser gereicht wurde. Mittlerweile waren aber meine kompletten Vorräte an Essen aufgebraucht. 3 Energieriegel, 3 Gels und eine Tüte Energie-Gummis von Powerbar. Jetzt stand wieder eine Abfahrt an, die vorletzte vor dem großen Finale. Kaum im Tal angekommen ging es am Gegenhang schon wieder 8 Kilometer mit 4 % Steigung bergan auf den Col de Notre Dame des Abeilles. Oben angekommen war dann der weiße Riese zum Greifen nah. Allerdings entfernten wir uns in der Abfahrt wieder etwas von ihm. Mit der Vorgeschichte des Reifenplatzers ließ ich es jetzt schön rollen, was die verdammt breite Straße auch gut hergab. Das Problem war nämlich, dass beim Bremsen die Felgenflanken so heiß wurden, dass der Schlauch sich nicht weiter ausdehnen konnte und einfach geplatzt ist. Also fuhr ich fast ohne zu bremsen die 15 Kilometer lange Abfahrt nach unten und erreichte dabei die Höchstgeschwindigkeit des Tages mit 76 Kilometer pro Stunde. Hier merkte ich aber schon, dass ich verdammt entkräftet war und gerne was essen würde. Ich malte mir schon aus, was ich jetzt alles schönes essen würde. Auf dem letzten flachen Stück vorm Mont Ventoux traf ich dann noch zwei Canyon Fahrer aus der Nähe von Hamburg. Wir fuhren ein Stück miteinander und plauderten über Canyon, den Mont Ventoux und über meinen Hunger. Plötzlich griff einer der beiden in seine Trikottasche und gab mir einen seiner Energieriegel. Ich habe mich riesig darüber gefreut und diesen sofort mit Genuß verspeist. Jetzt lief es wieder gut bis nach Bedoin am Fuße des Mont Ventoux. Aber irgendwie merkte ich trotzdem, dass das was ich da hatte, ein Hungerast war, obwohl ich meiner Meinung nach genügend synthetische Energie zu mir genommen hatte. An der letzten Verpflegung mit fester Nahrung im Ortskern von Bedoin stopfte ich dann in kurzer Zeit alles in mich hinein, was ich bekommen konnte. Eine Orange, 5 Stück Kuchen, 1 Energieriegel, 1Energiegel, 1 Schokoriegel und 3 Stück Gelantine-Zucker. Noch dazu trank ich anderthalb Liter Wasser und befüllte meine Flaschen aufs Neue. Zusätzlich packte ich für die Auffahrt von 21 Kilometern mit 7,6 % noch 2 Riegel, 2 Gels und eine Packung Feigen ein. Nach etwa 30 Minuten Pause machte ich mich auf in die Hölle. Die ersten 5 Kilometer waren noch ziemlich leicht, aber in meinem Magen bahnten sich heftige Krämpfe an. Diese sollten mich auch bis 6 Kilometer unterhalb des Gipfels begleiten. Bis dahin war es für mich tatsächlich die Hölle. Ich konnte nicht mehr im Sitzen fahren, sondern nur noch im Stehen, konnte kaum noch atmen und bekam keinen Schluck Wasser mehr herunter. Und die vielen Halbtoten am Wegesrand machten es nicht besser. Ohne die hätte ich erst viel später darüber nachgedacht eine Pause einzulegen. Ich hielt am Straßenrand an und versuchte mich ein wenig zu strecken, dass die Magenkrämpfe verschwinden, aber nichts half. Als ich wieder losfahren wollte, bin ich bei 10 % Steigung fast nicht wieder in die Klickpedale gekommen. Weit bin ich dann aber auch nicht gekommen und stieg wieder ab, um mich kurz zu erholen. Auf einmal sah ich ein Canyon-Trikot im Feld, es war Gerry aus Belgien. Auch er hielt kurz an. Er klagte über Herzrasen. Kein Wunder bei gefühlten 40 °C und Windstille in dem Kiefernwald, der zwar ein wenig Schatten, aber keine Erholung spendete. Am Wegesrand lagen hunderte von Radlern, total entkräftet und erschöpft. Viele liefen auch mit ihren Klickschuhen die steile Strecke hinauf. Einige übergaben sich am Straßenrand, einige auch beim Fahren auf ihre Oberrohre und Lenker. Ich dachte mir, dass es so nicht enden muss, wußte meinen Körper aber auch so gut einzuschätzen, um nicht so extrem zu überdrehen. Lieber hielt ich zwischendurch an und versuchte wieder etwas zu Luft zu kommen. Nach kurzer Zeit stieß dann auch noch Rodolphe zu uns, der ja anfangs schon Krämpfe hatte. Er und Gerry versuchten noch ein Stück mit mir mitzufahren, gaben aber dann auf, ohne es mir mitzuteilen, weil sie dachten, ich würde es ihnen gleichtun. Aber mein Ziel war klar. Wenn ich es bis hier hin, 10 Kilometer vor das Ziel geschafft habe, dann bezwinge ich auch noch den Rest dieses Berges. Zwar waren die Kilometerangaben am Straßenrand nicht wirklich motivierend, aber zumindest wurden die Zahlen kleiner, je länger ich in die Pedale trat. 7 Kilometer vor dem Ziel kam endlich ein flacheres Stück, aber es lagen nicht weniger Leute unter den Bäumen am Rand. Ein Krankenwagen folgte dem Nächsten. Jetzt rief mich Daniel vom Gipfel aus an. Er wartete oben auf jeden Einzelnen von uns und hatte warme Klamotten für die Abfahrt dabei. Ich sagte ihm wo ich bin und war zuversichtlich, dass es nicht mehr lange sein kann bis ich endlich oben bin. Am Chalet Reynard 6 Kilometer vor dem Gipfel war dann die letzte Verpflegung und zum Glück gab es kein Wasser mehr. Das konnte ich nämlich nach 9 Litern bis hier hin nicht mehr sehen. Ich ging ins Cafe und holte mir zwei Cola, die ich mir in der Sonne schmecken ließ. Nach fast einer Stunde und genug Zucker im Blut machte ich mich auf in die Steinwüste des Ventoux. Zum Glück hatten wir top Wetter, kaum Wind und angenehme Temperaturen in dieser Höhe. Eine kurze Zeit lang fuhr ich mit einem Japaner, der von Kopf bis Fuß in weißes Tuch gehüllt war, weiße Armlinge, weiße Beinlinge, weiße Hose, weißes Trikot. Ich fragte ihn, ob er eine Sonnenallergie hat, aber er hatte einfach nur Angst vor Sonnenbrand. Am Ende konnte er mein Tempo aber nicht halten. Mir ging es mittlerweile wieder bestens. Keine Krämpfe mehr, ich konnte wieder im Sitzen fahren und die Steigung war auch nicht mehr so extrem. Einige Zuschauer waren auch bis hier oben mit Wohnmobilen, aber weniger wegen uns, sondern eher für den bevorstehenden Samstag, an dem der Tour-Tross hier hoch rollen würde. Kurz vorm Gipfel wurde auch ich dann noch fotografiert von den offiziellen Fotografen der L'étape du Tour. Leider verpasste ich das Mahnmal von Tom Simpson, der 1967 hier bei der Tour de France verstarb. Und ich habe das Mittelmeer von hier oben nicht gesehen. Bei klarer Sicht soll das wohl auch möglich sein, aber es war zu diesig. Zumindest aber habe ich die Alpen im Norden gesehen. Der letzte Kilometer war dann nochmal richtig steil, aber auch den fuhr ich infolge der Euphorie mit einer unglaublichen Leichtigkeit. Naja, ich fuhr ihn nicht schnell, aber irgendwie ging es wie von allein. Oben angekommen erwartete mich dann Daniel und unzählige Finisher. Einige von ihnen stürzten mit eingeklickten Schuhen samt Rad auf den Asphalt und regten sich nicht mehr. Und auch Daniel erzählte von nicht wenigen solcher Vorfälle. Mir ging es hingegen prima im Ziel, ich hatte es geschafft, zwar habe ich vielleicht länger gebraucht, als manch anderer, aber ich war stolz auf mich. Noch nie bin ich vorher so viel Kilometer am Stück gefahren und noch nie hatte ich solang im Sattel gesessen. Daniel spendierte mir noch eine Cola, gab mir einen Energieriegel und fotografierte mich noch vorm Funkturm auf dem Gipfel bevor wir die 20 Kilometer lange Abfahrt ins Tal antraten, wo unser Bus stand. Von da aus fuhren wir noch 40 Kilometer zurück nach Bollène und verbrachten noch einen schönen Abend in geselliger Runde.




Kommentare

  1. Ein schöner Bericht. Wieviel von den 9000 Leutchens haben es denn geschafft ?

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  2. Genau 7162 Leute haben es geschafft.
    http://org-results-letape.letour.fr/index.php?content=search

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  3. Ich berichtige mich selbst.
    7396 Personen die angekommen sind.

    http://org-results-letape.letour.fr/index.php?content=search

    Und ich hab doppelt solang gebraucht, wie der Sieger...

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  4. 7162 Männer & 234 Frauen.

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  5. Krasse Scheiße! Da ist ja die stilfser joch Befahrung am Samstag ein klax ;-)

    Gratulation für die Leistung und den tollen Bericht!

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